„Eine Krähe hackt der anderen nicht ins Auge“, besagt ein Sprichwort. Obwohl ich Gewalt ablehne, bekenne ich mich nun als Nestbeschmutzer, was wohl auch symbolisch zu verstehen ist. Ich bin zwar keine Krähe, sondern ein Mensch, die schamanisch tätig ist.
„Schamanen“ sprießen wie Pilze aus dem Boden. Kurz nach Abschluss einer schamanischen Ausbildung bieten bereits „Neuschamanen“ ihre eigenen Kurse an. Oft wird dabei mit langjähriger Erfahrung geworben, was jedoch irreführend ist. Man wird nicht über ein Wochenende oder selbst über viele Wochenenden zum Schamanen. Selbst eine Einweihung, die die Weitergabe von Geheimwissen umfasst, macht noch keinen Schamanen. Nur die geistige Welt bestimmt den Zeitpunkt, ab dem man sich tatsächlich als solcher bezeichnen sollte.
Nach einem Wochenendseminar kann man zwar schamanische Praktiken anwenden und Kontakt zur geistigen Welt herstellen, doch es ist ratsam, nicht zu früh mit ratsuchenden Menschen zu arbeiten. Bevor man selbst eine schamanische Ausbildung anbietet, sollte man umfangreiche Erfahrungen gesammelt haben. So können zukünftige Schamanenanwärter von dem Wissen und der Erfahrung erfahrener Lehrer profitieren.
Schamanische Ausbildungen sind heutzutage profitabel, was erklärt, warum der Markt von so vielen Anbietern überschwemmt wird. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass Schamanismus weltweit verbreitet war. Seitdem sich der Mensch vor etwa 50.000 bis 60.000 Jahren über die Erde ausgebreitet hat – einige Wissenschaftler behaupten sogar, dass dies noch früher geschah – gab es immer „Wissende“, die einen besonderen Zugang zur Natur hatten und in der Lage waren, die Zeichen richtig zu deuten. Diese besonderen Menschen waren entscheidend für das Überleben ihrer Gemeinschaften, da sie Jagdwild finden konnten und wussten, welchen Weg sie einschlagen sollten.
In unserer modernen Zeit können wir leicht entlegene Orte erreichen und werden durch Medien mit verlockenden Berichten und Bildern dazu angeregt, auch die unberührtesten Regionen der Erde zu erkunden. Dadurch kommen wir in Kontakt mit verschiedenen Formen des Schamanismus, die je nach Kontinent unterschiedlich geprägt sind. Es wird deutlich, dass Schamanismus keine einheitliche Praxis darstellt.
Die Ausbildung eines Schamanen aus den indigenen Völkern erfolgte in mehreren Stufen und erstreckte sich über einen langen Zeitraum. Diese Ausbildung war äußerst individuell und beinhaltete isolierende, oft leidensbetonte Praktiken sowie teilweise lebensgefährliche Elemente. Je nach Tradition wurden angehende Schamanen tätowiert oder skarifiziert, ihnen wurden Wunden zugefügt oder Beschneidungen vorgenommen. Sie wurden mit Drogen in einen Zustand der Verwirrung versetzt, sodass sie sich in einem psychedelischen Dämmerzustand befanden. In diesen Momenten erschienen ihnen Götter, Geister und Dämonen leibhaftig.
Nach den Vorstellungen vieler schamanischer Traditionen kann ein Mann oder eine Frau nur durch Berufung zum Schamanen werden. Es gibt zwei Möglichkeiten dieser Berufung, die in schamanischen Kulturen oft nebeneinander bestehen: Entweder werden sie von elterlichen Schamanen durch ein Initiationsritual berufen, oder bereits anerkannte Schamanen wählen einen Außenstehenden aus.
In früheren Zeiten war der „Job“ des Schamanen oft unbeliebt, da die schamanische Tätigkeit zusätzlich zur alltäglichen Arbeit verrichtet werden musste, was schlichtweg bedeutete, dass es sich um zusätzliche Belastung handelte.
Schamanismus orientiert sich immer an die Bedürfnisse des eigenen Volkes.
Das Klappern gehört zum „Geschäft“, wie meine Ayurveda-Lehrerin einmal bemerkte. Heutzutage ist eine Internetpräsenz für viele Selbstständige nahezu obligatorisch, und es ist üblich, schamanische Angebote online zu präsentieren. Eine Website ermöglicht es potenziellen Klienten, einen ersten Eindruck davon zu gewinnen, wie und was jemand kommuniziert. Auf der Website sollte klar ersichtlich sein, woher die Herkunft und das Wissen des Anbieters stammen und wie er zu seinem schamanischen „Handwerkszeug“ gekommen ist. Auch die schamanische Ausrichtung eines Anbieters sollte bei der Auswahl berücksichtigt werden.
Es gibt verschiedene Wege, um schamanisch tätig zu werden: Man kann eine Ausbildung bei einem „anerkannten“ schamanischen Lehrer absolvieren oder autodidaktisch lernen, indem man sich von den Geistern führen lässt. Zudem kann man Mythen und Sagen mit schamanischen Inhalten filtern und daraus eine praxistaugliche Arbeitsweise entwickeln.
Was ist ein anerkannter schamanischer Lehrer?
Meiner Ansicht nach kann der Titel „Schamane“ nicht aus eigener Ermächtigung gewählt werden. Weder durch Seminargebühren, Fleiß noch Wissen lässt sich dieser Titel aneignen. Die geistige Welt (Spirits) entscheidet darüber, ob Heilungserfolge bei Menschen eintreten. Schamanisch Tätige sind lediglich die Kanäle, durch die die Spirits wirken. Klienten, die durch einen schamanisch Tätigen Weiterentwicklung und Heilung erfahren haben, verleihen ihm den Titel „Schamane“.
Es ist bedenklich, wenn Kundenakquise über Plattformen wie eBay Kleinanzeigen betrieben wird. Es gibt spezielle Anbieter für Therapeuten und Heiler, auf denen man Präsenz zeigen und sein Angebot bewerben kann. Diese Plattformen erfordern jedoch oft eine Investition, die manche scheuen, da die Neukundengewinnung über Therapeutenseiten als schwierig empfunden wird. Schamanismus ist eine kosmische Angelegenheit, doch Schamanen sind auch nur Menschen. Wer schamanische Heilarbeit anbietet, sollte seine eigenen Heilungsprozesse abgeschlossen haben und eine demütige Haltung einnehmen. Leider mangelt es manchen schamanisch Tätigen an dieser Demut.
Auf vielen schamanischen Internetseiten finden sich zunehmend Bewertungen und Referenzen von Klienten. Dies dient nicht nur dem Marketing, sondern oft auch dem Ego des Anbieters. Ein verantwortungsbewusster Schamane sollte keine Abhängigkeiten schaffen und sein Ego nicht durch Klienten oder Schüler nähren. Wenn dies dennoch geschieht, hat er noch eigene Entwicklungsschritte zu gehen.
In einem multikulturellen Land wie unserem hat das Interesse an fernöstlicher schamanischer Arbeit zugenommen. Viele schamanisch Tätige bieten exotische Praktiken aus weit entfernten Ländern an – aber ist das wirklich notwendig? Schamanische Praktiken sind häufig auf bestimmte Völker zugeschnitten.
Auch in Europa gab es immer Heilkundige mit eigenen Namen und Traditionen in ihren Tätigkeiten: Lachsnerin (Besprecherin oder Zauberin), Hag-Sitzerin oder Hagazussa (Hexe), Zaunreiterin (die zwischen den Welten lebt) und Spökenkieker (Menschen mit der Gabe des Zweiten Gesichts). Der Begriff „Spökenkieker“ kann als „Spuk-Gucker“ oder „Geister-Seher“ ins Hochdeutsche übersetzt werden und beschreibt die Fähigkeit, in die Zukunft blicken zu können. Besprecher verwenden traditionell einen „Besprechspruch“, der murmelt wird; auch das stille Gebet ist wirkungsvoll.
Schamanismus gilt als das älteste Heilsystem der Welt. Es fällt mir schwer zu verstehen, warum beispielsweise schamanische Kinesiologie oder Reiki-Schamanismus angeboten wird – schließlich wurde Kinesiologie 1982 als Behandlungskonzept entwickelt und Usui Mikao eröffnete 1921 eine Reiki-Klinik. Diese Methoden sind also relativ neu im Vergleich zum traditionellen Schamanismus.
Derzeit wird schamanische Arbeit in verschiedenen Formen angeboten, da sie offensichtlich gefragt ist und viele davon profitieren möchten. Anbieter versuchen oft, Schamanismus mit anderen Methoden zu verbinden, was jedoch die ursprüngliche Arbeit verfälscht und verwässert. Der Glaube an Geister ist ein wesentlicher Bestandteil der schamanischen Praxis, der bei Vermischungen mit anderen Heilungssystemen häufig ignoriert wird.
Schamanismus war und ist innovativ, da er sich am Menschen und seiner Weiterentwicklung orientiert. Es ist völlig unnötig, schamanische Arbeit mit anderen Methoden zu vereinen; sie ist bereits außerordentlich kraftvoll und wirkungsvoll in ihrer ursprünglichen Form.
Es ist völlig ausreichend, gute schamanische Arbeit zu machen.